Ein häufig geäußerter Einwand gegen gegenderte Sprache lautet, dass sie das Lesen erschwert und die Verständlichkeit beeinträchtigt. Dagegen habe ich ein empirisches Argument. Seit den frühen 90er-Jahren verwende ich so konsequent die gegenderte Sprache, dass ich es automatisch auch in handschriftlichen Notizen für mich mache. Wenn Sie meine Texte von Website über Blogbeiträge bis zu Newslettern lesen oder meine Folien kennen: Wie oft hat es sie schon gestört?

Möglicherweise ist es Ihnen kaum aufgefallen, weil es für mich so zu Routine geworden ist, dass ich geschickt darin bin, wirklich geschlechtsneutrale Begriffe wie Menschen, Teams, Elternteile, Verantwortliche, etc. verwende oder in der Mehrzahl zumindest die Frage der Artikel etc. wegfällt. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn Gegner*innen der gegenderten Sprache in mir eine Verbündete suchen wollen, weil es ihnen noch gar nicht aufgefallen ist, dass ich sie praktiziere.

Mit meinem naturwissenschaftlichen Denken interessieren mich auch wissenschaftliche Studien dazu.

Mikaela Wapman und Deborah Belle von der Boston University haben mit 197 Psychologiestudierenden und 103 Kindern in einer Studie folgende Rätselfrage gestellt. „A father and son are in a horrible car crash that kills the dad. The son is rushed to the hospital; just as he’s about to go under the knife, the surgeon says, ‚I can’t operate—that boy is my son! How is this possible?

In Folge wurden ähnliche Studien international durchgeführt. Im deutschsprachigen Raum mit der Übersetzung: „Ein Mann fährt mit seinem Sohn Auto. Sie haben einen schweren Unfall. Der Vater stirbt noch am Unfallort, der Sohn kommt schwer verletzt ins Krankenhaus. Im OP sagt der Chirurg: ‚Ich kann dieses Kind nicht operieren, das ist mein Sohn.‘ Wie ist das möglich?“

Bevor Sie weiterlesen. Wie erklären Sie sich das? Übrigens mit Gentests könnte man belegen, dass der Bub sowohl der leibliche Sohn des verstorbenen Mannes als auch den Chirurgen im OP ist.

Nur 14–15 % kamen auf die naheliegende Lösung, dass der Chirurg die Mutter des Jungen ist. Selbst unter jungen Menschen, Selbstbezeichnenden Feminist*innen und solchen mit berufstätigen Müttern oder Ärztinnen als Mutter war der Anteil kaum höher. Die Studie zeigt, wie tief das Stereotyp „Chirurg = Mann“ verankert ist, unabhängig von Alter, Bildung oder persönlichen Erfahrungen. Weitere internationale Studien bestätigen diese Ergebnisse, etwa eine groß angelegte Untersuchung von Banaji et al. die mit verschiedenen Varianten und in mehreren Ländern ähnliche Resultate fand.

Das Rätsel wird oft als „The Surgeon’s Dilemma“ bezeichnet und dient als klassisches Beispiel für unbewusste Vorurteile (Unconscious Bias) gegenüber Frauen in bestimmten Berufen. „Der Chirurg ist die Mutter“ – wird von der Mehrheit der Befragten übersehen, was die Macht von Geschlechterstereotypen unterstreicht. Sie widerlegt auch, dass in der deutschen Sprache das generische Maskulin als generische Neutrum geschlechterneutral verstanden werden kann.

Dieses Chirurgen-Dilemma widerlegt auch, dass das generische Maskulin leichter zu verstehen ist. Insgesamt ist es nicht eindeutig. Alle Flugpiloten streiken, sind vermutlich Flugpiloten und Flugpilotinnen. Wenn den Flugpiloten eine kostenlose urologische Untersuchung angeboten wird, sind vermutlich nur die Männer gemeint.

Kürzlich war Walburga Fröhlich zu Gast bei einem Business-Frühstück von „Frau im Fokus“, einem Netzwerk für Unternehmerinnen, Führungskräften und Zukunftsgestalterinnen, dessen Präsidentin ich bin. Frau Fröhlich hat schon vor mehreren Jahren – lange vor ChatGPT – eine KI zur Prüfung der Verständlichkeit und zum Übersetzen in verständliche Sprache – die gleiche wie ursprünglich oder in 14 andere Sprachen – kreiert hat. Capito heißt Ihr Unternehmen. Und sie hat eine Verständlichkeitsstudie des Genderns an der Universität Graz beauftragt. Das Ergebnis:

Das Generische Maskulin ist nicht gut verständlich. Am verständlichsten sind wirklich neutrale Begriffe Kind, Erwachsene oder Mitglied, etc. …. oder beide Geschlechter ausschreiben, d.h. Experten und Expertinnen, Chirurgen und Chirurginnen. Bei der hauptwörtlichen Form des Partizips sind nur die Begriffe gut verständlich, die weit verbreitend sind, wie z.B. Mitarbeitende, Studierende, Anwesende, … Spätestens wenn ich von den „Entscheidenden“ statt den „Entscheidungsträger*innen“ spreche wird es missverständlich und auch doppeldeutig: Sind es alle Entscheidungsträger*innen oder nur die entscheidenden im Sinne von „maßgeblichen“ Entscheidungsträger*innen?

Als junge Frau in Männerdomänen bin ich unzählige Male als „Herr Monika Weiss“ angekündigt worden – so habe ich damals geheißen – und für große Verwunderung gesorgt, wenn dann vor Ort kein Mann, sondern eine Frau die Verantwortliche war. Außerdem habe ich es für unlogisch gefunden, warum wir trotz angeblich generischem Maskulin von einer Sekretärin sprechen und wenn es dann einen Sekretär gibt, diesem natürlich nicht zumutbar ist, wenn er bei den Sekretärinnen mitgemeint ist, wie es in der Präambel steht. Deshalb habe ich begonnen mit dem Binnen-I zu gendern. Selbstverständlich konsequent, also auch SekretärInnen, KindergärtnerInnen und auch TäterInnen. Da ich mich als Gründungsvoständin vom Club Max Reinhardt Seminar, einem Förderverein für Schauspiel- und Regiestudierenden, die sehr feinfühlig in ihrer Wahrnehmung sind, kenne ich relativ viele Menschen, für die die binäre Zuordnung männlich oder weiblich nicht passt. Um diese transbinären oder genderfluiden Menschen nicht auszuschließen, bin ich auf den Gender-Stern umgestiegen.

Gegen das Binnen-I spricht auch, dass es schwer verständlich ist und Menschen, mit Sehbeeinträchtigung, die auf automatische Vorlese-Tools angewiesen sind, ausschließt. Wegen der Doppeldeutigkeit von „I“ funktioniert es auch überhaupt nicht in Blockschrift.

Aus optischen Gründen habe ich dann den Gender-Doppelpunkt für eleganter, weil weniger auffällig, empfunden, und diesen statt dem Gender-Stern genutzt. Die Umstellung meiner Texte und Folien ist mit der automatischen Ersetz-Funktion sehr einfach gegangen. Nur an ganz wenigen Stellen habe ich den Stern als Multiplikations- oder Referenzzeichen verwendet, der natürlich nicht durch Doppelpunkt ersetzt werden soll.

Die Verständlichkeitsstudie zeigt jedoch, dass der Doppelpunkt eben auch ein Satzzeichen ist und damit als Gender-Symbol schwer verständlich. Weil mir wissenschaftliche Fundierung wichtig ist, bin ich jetzt daher wieder zum Gender-Stern zurückgekehrt. Diese Umstellung war wesentlich aufwändiger. In mehr als der Hälfte der Fälle hat es sich um kein Gender-Zeichen gehandelt.

WordPress bietet mir diese automatisierte Umstellung von „*“ zu „:“ und zurück nicht. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich die bestehenden Texte erst schrittweise und nur teilweise umstelle.

Hier finden Sie die Studie zur Verständlichkeit von gegenderter Sprache – zusammengefasst von Perplexity.ai inkl. Links zu den Originalstudien und -texten: https://www.perplexity.ai/search/die-universitat-graz-kommunika-3Rb9WxCIRHu1JkRQgLcT9A

Foto: ChatGPT 4.o Plus – gepromptet mit „Chirurgen und Chirurginnen“
Auf iStock, das ich sonst bevorzuge, bekomme ich auch dann, wenn ich nach „Chirurgin“ suche, fast ausschließlich Fotos von Chirurgen, auf denen Frauen assistieren. Nur bei „Chrirurgin weiblich“ werden mir Fotos von Chirurginnen vorgeschlagen. Das liegt daran, dass meine Anfrage in Englisch übersetzt wird und die Suchfunktion von iStock offensichtlich im Gegensatz zu ChatGPT – in der Vor-Trump-Ära – auf mehr Diversity-Fairness trainiert wurde.

 

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