»New Work« und »New Leadership« sind nicht nur Schlagworte, sondern Bewegungen, die das Ziel verfolgen, Arbeit sinnvoller, flexibler und individueller zu gestalten. Christoph Wirl, Herausgeber des Magazins TRAiNiNG hat mehrere Expert:innen, wohin die Reise geht, und woran Unternehmen denken sollten. So auch mich.
Für junge Menschen ist es unverzichtbar und für alle ist es hirngerecht und leistungsfördernd: Spaß und Freude an der Arbeit. Darum sind Konzepte von Gamification so sinnvoll. Dabei wird das, was Spiele so attraktiv macht, auch auf die Arbeitswelt übertragen. Das erste Prinzip dabei ist die Freiwilligkeit. Klar beruflich unterliegt man einem Arbeitsvertrag. Aber in New Work bleiben Mitarbeiter nur so lange, wie es ihnen Freude macht. Danach kündigen sie.
Hier meine ausführlichen Antworten.
Wie sehen Sie das Spannungsfeld zwischen der Freiheit und Flexibilität, die New Work ermöglicht, und dem potenziellen Mangel an Struktur und klaren Verantwortlichkeiten?
Ich sehe keinen Widerspruch in Freiheit und Flexibilität auf der einen und Struktur und klaren Verantwortlichkeiten auf der anderen Seite. Damit Freiheit und Flexibilität nicht ins Chaos führen, braucht es einen klaren Rahmen. Eine gute Ausgewogenheit zwischen Spielregeln und Spielräumen trägt ganz wesentlich zur Attraktivität von Spielen bei. Regeln ermöglichen das Zusammenspiel. Gerade wenn Mitarbeiter:innen einen hohen Grad an Selbstgestaltung der Arbeitsweise und -zeit fordern, müssen ihre Ergebnisverantwortung und die Erwartungen an ihre Arbeitsleistung klar definiert sein. Niemand möchte ein Spiel spielen, bei dem unklar ist, worauf es ankommt und unter welchen Bedingungen man gewinnt.
Äußere Anreize haben ausgedient
Ein Bekannter hat als Manager einen jungen Mann als seinen Nachfolger eingestellt, der zuvor ein Start-up gegründet und erfolgreich verkauft hat. Bei seinem Bewerbungsgespräch hat dieser sofort klargestellt: Mit Gehalt könnt Ihr mich nicht ködern. Und es ist auch klar, er hätte nicht unterschrieben, wenn das Gehalt in einer unangemessenen Relation zu seiner Kompetenz gestanden wäre.
Das ist sicher ein extremes Beispiel, aber es verdeutlicht den Trend, dass Gehalt und Dienstauto als Lockvögel ausgedient haben. Zunehmend geht es um Sinn der Arbeit, spannende Aufgaben und gutes Arbeitsklima. Laut einer Studie haben 72 % der Kündigungen Unzufriedenheit mit der Führungskraft als Ursache.
Rückmeldung als Antrieb
Was zum Weiterspielen animiert bis in extremen Fällen zur Spielsucht ist die Rückmeldung des Spielstands. Es fördert das Flow-Erleben, wenn man selbst erkennen kann, wie man die Leistung steigert. Selbst erkennen können, dass man etwas geschafft hat, sind noch wirkmächtiger als Rückmeldungen von anderen wie z.B. der Führungskraft. Künstler:innen verlieren sich in ihrem Spiel. Sie erleben, dass das was sie machen, stimmig ist. Wenn sie am Schluss dafür auch noch Beifall bekommen, ist das eine wunderschöne Draufgabe. Vera Birkenbihl, die große Vordenkerin für hirngerechtes Arbeiten hat es so formuliert: „Menschen brauchen Ball-im-Tor-Erlebnisse.“ Außer man ist Tormann, dann löst „Gehalten“ die gleichen beglückenden Gefühle aus, die dann ausgelöst werden, wenn Aufgaben glücken. Die deutsche Sprache spiegelt hirngerechte Prinzipien wider. Ein Kinder-Fußballtrainer hat mir erzählt, dass kleine Kinder bis ca. 10 Jahren jeweils ein eigenes Tor brauchen, damit sie ganz viele Erfolgserlebnisse und damit verbunden bestärken. Wie das Tor aussieht ist dabei egal, aber es reicht nicht, nur zwei Schuhe aufzustellen. Denn: „Das Netz muss zappeln.“ Das Erfolgserlebnis muss erfahrbar sein. Erst ältere Kinder kann man im Spiel gegeneinander trainieren, wobei pro Spiel nur wenige oder gar keine Tore fallen.
Self Leadership braucht Rückmeldung bzgl. der Ergebnisse. Wie das Beispiel des Kinderfußball-Trainings verdeutlicht, brauchen Menschen diese in unterschiedlicher zeitlicher Nähe zur Leistungserbringung. Manche brauchen häufige Rückmeldung und viel Fixpunkte, andere kommen mit wenigen Rückmeldungen und großem Abstand zw. den Fixpunkten aus. Neurowissenschaftlich spricht man von Belohnungsaufschub, für die im Gehirn der Präfrontale Cortex entscheidend ist. Ich überwinde mich etwas zu tun, weil ich darauf vertraue, dass sich ein gutes Gefühl in naher Zukunft einstellen wird. Wenn mein Vertrauen solide ist, reicht es mir vielleicht, dass sich erst in einigen Tagen, Wochen oder sogar Monaten das gute Erfolgsgefühl einstellen wird. Menschen mit weniger ausgeprägter Impulskontrollen brauchen die Rückmeldung in viel geringeren zeitlichen Abständen. Die Frage ist daher nicht Flexibilität oder Struktur, sondern wie engmaschig die Rückmeldungen erfolgen.
Wann, wo und wer braucht noch Hierarchien und Macht-Strukturen, um effizient arbeiten zu können. Oder braucht man sie gar nicht mehr?
In jedem Fall braucht es die Rollenklarheit wer wofür verantwortlich ist und wer wofür Ansprechpartner ist. Für Organisation gilt wie für das technische Getriebe, dass unklare Konturen zu Schlupf führen. Das frisst Wirkungsgrad und fördert den Verschleiß. Wenn formale und gelebte Organisation nicht zusammenpassen, entstehen physikalisch „Scherspannungen“. Das ist DER Nährboden für Konflikte. Außerdem ist es entscheidend, dass Verantwortungen und Entscheidungsbefugnisse zusammenpassen. Wenn ich einerseits Rechenschaft für die Ergebnisse ablegen soll, aber andererseits von den Entscheidungen anderer abhängig bin, ist das einer der mächtigsten Flow-Killer. Zahnlose Tiger werden leicht depressiv. Mitarbeiter:innen gehen in die innere und zunehmend auch in die äußere Kündigung.
Bei Entscheidungen ist immer abzuwägen, wie wichtig ist mir das Commitment für die Umsetzung und wie viel Zeit kann ich bzw. bin ich bereit zu investieren. Wenn akute Gefahr in Verzug ist, dann sind klare Befehlsketten angemessen. Demokratische Entscheidungsprozesse mit Beteiligung vieler sind dann viel zu zeitaufwändig.
Wie können selbstorganisierte Teams aufgebaut und „geführt“ werden?
New Work braucht beides: Führungskräfte, die zutrauen und übertragene Verantwortungen wirklich loslassen UND Mitarbeiter:innen, die eigeninitiativ und selbstwirksam handeln. Wenn nur eine Seite ihren Part dazu beiträgt, führt das zwangsläufig in einen Teufelskreis. Führungskräfte, die nur halbherzig delegieren und sich dann immer wieder einmischen, wenn Mitarbeiter:innen andere Wege zum vereinbarten Ziel einschlagen als sie selbst bevorzugen würden, untergraben die Motivation des Teams. Das führt dazu, dass zunächst die Arbeitsbereitschaft und -leistung sinkt, sodass mangelnde Vertrauen der Führungskräfte in die Mitarbeiter:innen bestätigt und noch noch weiter reduziert wird. Andererseits gibt es Mitarbeiter:innen, die es nicht gewohnt sind und es auch ablehnen, Verantwortung zu übernehmen. Karl Valentin bringt es humorig auf den Punkt:
„Mögn tät ma schon wolln, aber dürfn hab ma uns net getraut.“
Eine Abwandlung von mir ist:
„Bitte lasst uns müssen, weil sonst müssen wir wollen.“
Gegen diese Falle des unangemessenen „Raufdelegierens“ von Problemen und Entscheidungen von Mitarbeiter:innen an die Führungskraft hilft z.B. die Frage: „Was kannst du zur Problemlösung beitragen und welche Unterstützung brauchst du dafür von mir als Führungskraft?“ In Anlehnung an die taoistische Weisheit
„Gibst du jemanden einen Fisch nährt er sich nur einmal.
Lehrst du ihn das Fischen, nährt er sich für immer.“
ist Hilfe zu Selbsthilfe angesagt.
Die Führungsaufgabe mit der größten Hebelwirkung ist die Selbstführung zur Förderung der eigenen Motivation und Leistungsstärke. Führung von selbstorganisierten Teams kann man mit dem Satz zusammenfassen:
Self-Leadership als Voraussetzung für Leadership,
um das Self-Leadership der Mitarbeiter zu fördern.
Inwiefern besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit in einem New-Work-Modell zu stark verschwimmen? Viele, auch jüngere Generationen, wollen hier eine klare Abgrenzung?
Der Begriff Work-Life-Balance vermittelt den Eindruck, als fände der Beruf außerhalb des Lebens statt. Tatsächlich ist die berufliche Lebenszeit ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens. Unser Hirn ist dafür ausgelegt, dass wir uns durch die Freude am Schaffen weiterentwickeln. Gemeisterte Herausforderungen stärken unsere Resilienz und Stressresistenz.
Ich spreche daher von Life-in-Balance und meine damit eine Balance zwischen den beruflichen und privaten Lebensbereichen sowie eine Ausgewogenheit zwischen Tatkraft und Regeneration. In Zeiten von Home Office und Co. ist der Begriff Worcation aufgekommen: Urlaubsorte werben mit stabilem Internet, das Distance Working ermöglicht. Als vielreisende Unternehmerin prägt diese enge Verwobenheit zwischen Freizeitfreuden und beruflichem verlässlichem Schaffen schon lange mein Leben. Auch dieses Interview schreibe ich in der Oberflächenpause zwischen zwei Tauchgängen in der Celebes Sea.
Gefragt ist einerseits die sinnvolle Verbindung von beruflichen und privaten Interessen und andererseits einem bewussten Umschalten zwischen beruflicher und privater Lebenszeit. Das praktische am Tauchen: Unter Wasser ist man automatisch offline. Offline-Pausen sind auch ober Wasser sinnvoll. Dann braucht es andere Rituale, um für das Gehirn wirkmächtig offline zu gehen. Ein Manager legt z.B. demonstrativ sein Mobiltelefon und Tablet mit dem Display nach unten auf den Tisch.
Den Artikel von Christoph Wirl mit der Zusammenfassung der Interviews können Sie hier nachlesen: