Christoph Wirl, Herausgeber des Magazins TRAiNiNG hat mich als „humorvolle Speakerin mit sehr hohem Anspruch an ihre fundierten Inhalte“ eingeladen, mein Position zu den aktuellen Entwicklungen bzgl. Speaking für Business-Bühnen zu artikulieren.
Mit meinen Wurzeln als Pionierin des Qualitätsmanagements lege ich auch jetzt hohe Ansprüche an die Qualität von Business-Vorträgen. Ich bin mir der Wirkmacht der Bühne bewusst. Dieser Verantwortung gilt es, gerecht zu werden.
Hier meine ausführlichen Antworten.
Christoph Wirl: In vielen Reden geht es nur noch um allgemeine Floskeln, die nett zusammengeschrieben wurden. Die Relevanz für das Business geht verloren. Sehen Sie das auch so?
Der Markt an Speaking-Ausbildungen boomt. Im Vordergrund steht dabei: „Ich möchte auf der Bühne etwas erzählen.“ Und nicht: „Was ist für das Publikum von Relevanz und Nutzen?“. Ich halte es daher für die Qualität und Auswahl von Speakern für entscheidend, die 3 Siebe des Sokrates anzulegen.
1. Wahrheit: Stimmt es tatsächlich? Das geht in zwei Richtungen: Einerseits werden manchmal umlaufende Mythen und Fabeln als tatsächliches Erleben berichtet oder erfundene Erfolgsgeschichten behauptet. Vor einiger Zeit wurde z.B. ein Speaker enttarnt, der von sich behauptet hat, als Coach zum Weltmeistertitel eines Spitzensportlers beigetragen zu haben und von diesem daraufhin geklagt wurde. Und andererseits sind so viele Fake News im Umlauf. Ja, es gibt Phänomene, die noch nicht naturwissenschaftlich bewiesen sind. Und es gibt vieles, das einfach unsinnig ist. Als Physikerin blutet mir das Herz, wenn die Quantenphysik als Erklärung für Aspekte unserer Makrowelt herangezogen wird, obwohl sie nur unter bestimmten Annahmen in der Mikrowelt gilt. Bzgl. unseres Gehirns ist nach wie vor so viel im Umlauf, was längst neurowissenschaftlich widerlegt ist.
2. Güte: Ist es zum Wohl der anderen? Bei mir läuten alle Alarmglocken, wenn Speaker das eine heilversprechende Erfolgsrezept von der Bühne predigen. Sowohl unser Umfeld als auch die Vielfalt der unterschiedlichen Persönlichkeiten sind jedoch wesentlich komplexer, sodass es den die EINE Lösung nicht geben kann. Besonders kritisch sind Vorträge nach dem Muster: „Mach es auch so wie ich, dann schaffst du es auch.“ So hat z.B. ein Extremkletterer dem Publikum empfohlen: „Gehen Sie dahin, wo die Gefahr am größten ist, dort gibt es am meisten zu gewinnen.“ Noch bevor ich wusste, dass es in der Wissenschaft den „Survivorship Bias“ gibt, habe ich ihm mit Hausverstand geantwortet: „Das behauptet ein Überlebender. Voll sind die Bergfriedhöfe.“ Mit diesem missionarischen Speaker-Ansatz stellen sich Speaker erhaben über das Publikum. Sie sprechen nicht dialogisch auf Augen- und Herzensebene. Ich empfinde immer wieder tiefen Respekt und bin mir meiner Verantwortung bewusst, wenn ich sehe, wie viele wunderbare, vielfältige Menschen vor mir sitzen und mir ihre Lebenszeit schenken.
3. Erfordernis: Welchen Nutzen bewirkt es? Der Philosoph Martin Buber hat formuliert:
„Wo ein Gespräch gelungen ist,
ist uns etwas geblieben, das uns verändert hat.“
Das sollte noch viel mehr für Vorträge für viele Menschen gelten.
- „Was können sich die Teilnehmenden mitnehmen?“
- „Worin habe ich sie gestärkt oder ermutigt?“
- „Welche nützlichen Perspektiven und Möglichkeiten habe ich ihnen erschlossen?“
- „Was trägt der Vortrag dazu bei, dass sie Chancen besser nutzen und Hürden besser meistern können?“
sind die relevanten Fragen zur Beurteilung der Relevanz und Sinnhaftigkeit von Vorträgen. Gleichzeitig ist das auch meine Motivation, warum ich noch möglichst lange als Speaker aktiv sein möchte: Ich kann dazu beitragen, dass wir als Gesellschaft trotz der aktuellen Multi-Krisen die Zuversicht wahren und für unsere Gesellschaft und Wirtschaft eine lebenswerte Zukunft gestalten können.
C.W.: Was halten Sie für wichtiger in einer Speech: den Inhalt oder die Art der Präsentation? Können Sie Ihre Sichtweise erläutern?
Wenn manche Speaker-Kolleg:innen oder noch schlimmer Speaker-Ausbilder:innen behaupten, die Botschaft sei irrelevant und es käme nur auf die Bühnenperformance an, antworte ich mit der Metapher: „Was ist wichtiger: Motor oder Karosserie?“ Ja, man kann kurzfristig auch ohne Motor eine Karosserie über die Bühne karren. Doch das Publikum merkt, dass man es manipulieren möchte. Das Schlimmste daran ist, dass es das riesige Unbehagen hinterlässt: „Für wie dumm und ahnungslos schätzen sie uns ein, dass sie glauben, wir merken die hohle Fassade nicht.“ Für mich steht nach wie vor – insbesondere bei Business-Vorträgen das Thema und die Botschaft im Mittelpunkt. Mein Antriebsmotor:
- „Wofür brenne ich?“
- „Welches Feuer möchte ich weiterreichen?“
- „Welche Funken will ich überspringen lassen?“
Und ja: Es braucht auch eine ansprechende Performance als Vehikel zur Inhaltsvermittlung. Um die erwünschte Wirkung beim Publikum zu erzielen, ist entscheidend, dass Inhalt und Präsentationsform stimmig zusammenpassen und in einer guten Balance stehen.
C.W.: Wie erreichen Speaker innen eine gute Balance zwischen informativem Inhalt und überzeugender Performance in der Rede?
Aus der Relativitätstheorie und Quantenphysik kommend ist für mich „Storytelling“ mit Erläuterungsgeschichten meine „muttersprachliche“ Form der Wissensvermittlung. Von Zügen und Rolltreppen über All-reisende Zwillinge bis zur berühmten Schrödinger-Katze nutzen Fachexperten anschauliche Vergleiche, um die reinen mathematisch-physikalischen Erkenntnisse einprägsam zu verpacken. Die Wirkung von Geschichten ist in der Zwischenzeit auch neurowissenschaftlich fundiert: Das narrative Gedächtnis ist wesentlich wirkmächtiger als das deklarative Gedächtnis, mit dem Fakten erinnert werden. Das Teilen von Geschichten führt auch zur Synchronisierung von Grund-Rhythmen unserer Gehirne. Humor trägt ganz maßgeblich zur Nachhaltigkeit von Erkenntnissen bei. Die deutsche Sprache beinhaltet es: „Merkwürdiges ist würdig, dass wir es uns merken.“ Tatsächlich stärken Überraschungen ganz wesentlich unsere Hirnaktivität.
C.W.: Wie sollen Redner Ihre Reden an unterschiedliche Rahmenbedingungen anpassen? Können Sie ein Beispiel geben?
Aus meiner Sicht ist es die Todsünde des Speakings Vorträge einfach runterzuspulen ohne darauf Rücksicht zu nehmen, in welchem Rahmen und zu wem sie sprechen. So habe ich einmal selbst erlebt, dass bei einem Vortrag für Unternehmerinnen ein renommierter Redner so gesprochen hat, als würden männliche Konzernmanager vor ihm sitzen, auf den zu Hause die Ehefrauen warten.
Wesentliche Inhalte sind natürlich unabhängig vom Publikum relevant. Je nach Veranstaltung und Zielgruppe passe ich jedoch den Titel, den Einstieg, die Erläuterungsgeschichten und das Ende des Vortrags an. So war es theoretisch an zwei aufeinanderfolgenden Tagen das gleiche Thema „Stressmanagement und Resilienz“. An einem Tag veranstaltet im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsförderungsprogramms eines Unternehmens im Umbruch. Das war der Titel „(Über-)Lebens-Set für stürmische Zeiten“. Am nächsten Tag im Rahmen eines Apotheker-Kongresses mit Schwerpunktthema Infektionskrankheiten. Da habe ich es „Mentales Immunsystem stärken – Resilienz aus neurowissenschaftlicher Sicht“ betitelt und verstärkt naturwissenschaftlich argumentiert.
Entscheidend ist auch, wie der Vortrag zeitlich in eine Veranstaltung integriert ist. Bei Auftaktveranstaltungen geht es stark darum, einerseits einen fruchtbaren Nährboden für das Thema der Veranstaltung zu legen und andererseits Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Eine gute Abschluss-Keynote sorgt dafür, dass sich die unterschiedlichen Aspekte des Events zu einem runden Bogen spannen und die Menschen inspiriert und gestärkt aus der Veranstaltung gehen.
C.W.: Wie sehen Sie die Zukunft des öffentlichen Redens? Welche Trends oder Veränderungen erwarten Sie?
ChatGPT und Co. sind uns überlegen, Standard-Wissen in Text zu bündeln. Das bietet geniale Recherchemöglichkeiten zur Vorbereitung von Vorträgen. Der Mainstream wird zunehmend von der Künstlichen Intelligenz bedient. Für uns Speaker:innen ist mehr denn je, eine klare Positionierung wichtig – im Sinne von „Be unique“. Oder mit den Worten von Johann Wolfgang von Goethe:
„Das Außerordentliche geschieht nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege.“
Unser Mehrwert als Speaker:innen besteht darin, in unterhaltsamer Weise jenseits der Denktrampelpfade Menschen zu ermutigen, Veränderungsbereitschaft zu fördern und Pioniergeist zu stärken.
Der Arikel von Christoph Wirl aufgrund des Interviews ist im Magazin TRAiNiNG, Ausgabe 1/2024 erschienen:
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