Christoph Wirl, Herausgeber vom Magazin TRAiNiNG hat mit 3 Expert:innen – so auch mit mir – ein Interview zum Thema Konfliktmanagement geführt. Schließlich verringern Konflikte die Effektivität der Zusammenarbeit und sind damit ein wesentlicher Kostenfaktor in Unternehmen. So hat eine Studie der Beratungsgesellschaft KPMG ergeben:
- Unternehmen verwenden 10 bis 15 % der Arbeitszeit für die Bewältigung von Konflikten.
- Die Gesamtkosten, die durch Konflikte verursacht werden, belaufen sich regelmäßig auf 20 % der Personalkosten.
- Führungskräfte verbringen 30 bis 50 % ihrer Arbeitszeit entweder direkt oder indirekt mit der Lösung von Konflikten oder deren Folgen.
- Betriebliche Konflikte führen zu Abwesenheit durch Krankheit, bedingt durch Arbeitsplatzängste und Mobbing, sowie zu Kosten durch Mitarbeiter:innen-Wechsel, Abfindungen und Gesundheitsausgaben.
- Ein Viertel des Umsatzes hängt von der Qualität der internen Kommunikation ab.
Christoph Wirl CW.: Welche häufigen Ursachen für Konflikte am Arbeitsplatz haben Sie mit Ihrer Erfahrung identifiziert?
Durch die Dynamik und den daraus resultierenden Zeitdruck sowie noch mehr durch die zunehmende Komplexität und Ungewissheit steht die Stressfalle weit offen. Stress reduziert einerseits in unserem Gehirn die Fähigkeit der Emotionsregulierung und Impulskontrolle. Dadurch wird die Kommunikation aggressiver. Andererseits werden Hirnregionen, die sonst zur Vernunft genutzt werden dienen zunehmend einer verfeinerten Wahrnehmung. D.h. auf der einen Seite wird der Ton rauer und auf der anderen Seite die „Haut dünner“. Dinge, die wir normalerweise gelassen hinnehmen können, werden unter Stress zum Drama. Auch das hat etwas mit unseren archaischen Hirnstrukturen zu tun: Im Stress sinkt der Serotoninspiegel. Serotonin dämpft unsere Emotionen. Das war bei unseren Vorfahren in der Steppe sinnvoll. Wenn wir uns nicht nur wenig fürchten, sondern wirklich Angst haben, fliehen wir entschlossener. Wenn wir nicht etwas verärgert sind, sondern voll wütend, kämpfen wir mutiger. Beides hat die Überlebenschancen unserer Vorfahren erhöht.
CW: Wie kann man Konflikten vorbeugen?
„Am meisten Zeit kosten die Gespräche, die man versäumt hat zu führen.“
Im Vorfeld wäre es ein kurzes klärendes Gespräch gewesen. Wenn man diese Klärung nicht herbeigeführt hat, kann es leicht zu einem eskalierenden Konflikt werden, dessen Lösung wesentlich mehr Zeit und Energie kostet. Ich empfehle daher, das Gespräch zu suchen, bevor man vom Konflikt gefunden wird. Weit offen steht die „Eh-klar“-Falle der Kommunikation. Mir ist es so klar, dass ich fix davon ausgehe, dass es auch für die anderen so sein muss. Wir schaffen es tatsächlich immer wieder, zu vergessen, dass andere wirklich anders sind, weil sie andere Erfahrungen gesammelt haben, sie andere Ziele verfolgen und ihnen dabei andere Werte wichtig. Wichtig sind daher Rückkopplungen, in denen ich mich versichere, wie etwas bei anderen ankommt und welche Sichtweise sie haben.
CW: Können Sie ein Beispiel für einen Konflikt nennen, der durch Missverständnisse oder unterschiedliche Erwartungen entstanden ist?
In einem Unternehmen ist es immer wieder zu Konflikten bzgl. der Reisespesenabrechung gekommen. Als diese wieder einmal eskaliert sind, hat man sich die Mühe gemacht, diesem Thema auf den Grund zu gehen. Die Vertriebstechniker hatte eine ganz klare Regelung, wie Reisespesen zu kalkulieren sind. Die Realisierungstechniker hatten auch eine ganz klare Regelung, wie Reisespesen abzurechnen sind. Das Blöde darin: Die beiden Regelungen haben einander widersprochen.
Oder ein anderes Beispiel: Immer wieder hat es zu spürbaren Spannungen geführt, wenn das Thema „Managed Services“ angesprochen wurde. Erst nach Längerem ist die Moderatorin auf die Idee gekommen, jede:n Einzelne:n zu fragen, was er/sie unter „Managed Services“ versteht. Da hat sich herausgestellt, dass bei 8 Anwesenden mindestens 10 unterschiedliche Bilder im Kopf waren, was das für ihren jeweiligen Alltag bedeutet.
Beide Beispiele zeigen, dass konstruktiv geregelte Konflikte, die dann zu Entscheidungen und gemeinsamen Vereinbarungen führen, die Organisation weiterbringen.
CW: Welche Rolle spielt das Organisationsklima bei der Entstehung und Lösung von Konflikten?
Den Nährboden für konstruktives Konfliktmanagement bildet das Self-Leadership der Mitarbeitenden, mit dem sie ihre Emotionen steuern können. Denn unter Stress, Angst oder Ärger funktionieren nur die Strategien Kämpfen oder Fliehen. Beides verhindert Konsenslösungen oder gute Kompromisse. Das Gegenteil von Stress bildet Vertrauen. Das lässt sich am besten durch empathische Kommunikation fördern. Tatsächlich hat sich unsere Sprechfähigkeit aus dem Kraulen der Primaten entwickelt, mit dem diese die Rudelzusammengehörigkeit gepflegt haben.
„Durch’s Reden kommen die Leute zusammen.“
stimmt neurowissenschaftlich.
Konstruktiv geregelte Konflikte vertiefen übrigens die Beziehung. So hat meine Tochter in der Pubertät zu mir gesagt: „Mama, du sagst ja, Konflikte sind Vertrauensbeweise. Weil ich dir vertraue, streite ich so gerne mit dir.“ Zweiteres war manipulativ, aber ersteres stimmt: Wenn ich mit jemanden streite, habe ich das grundsätzliche Vertrauen, dass unsere Beziehung so Konflikt-belastbar ist. Der Volksmund spricht vom „Zusammenstreiten“. Auch das stimmt wieder. Sturmerprobte Beziehungen beruhen auf der guten Erfahrung, auch wenn einmal Interessen aufeinanderprallen, finden wir einen guten Weg wieder zusammen zu finden.
Teuflisch hingegen ist die Konfliktvermeidung, die in Wirklichkeit Lösungsvermeidung ist, weil ja der Konflikt bestehen bleibt. Ich bezeichne sie daher als „Friedhöflichkeit“. Des lieben Friedens willen, schlucke ich den Konflikt. D.h. aber, dass auch zukünftig, dieses Thema meiden muss, weil ja ein nicht ausgetragener Konflikt unter dem Teppich lauert. Auf Dauer führt das zur Depression, die das Gegenteil von Expression ist. Einen guten Weg zu finden, Konflikte anzusprechen, ist daher eine wichtige Kompetenz, die gleichermaßen Leistungsstärke des Teams als auch die Gesundheit des Einzelnen fördert.
CW: Wie können Führungskräfte und HR-Manager:innen ein positives Umfeld schaffen, das die Entstehung von Konflikten minimiert?
Gefragt ist ein Perspektivenwechsel für mehr Lösungsmöglichkeiten. Denn Konflikte haben zu Unrecht so ein negatives Image. Dass es Konflikte gibt, ist wertvoll. Das spricht für die Lebendigkeit der Organisation. Denn wenn es in Beziehungen keine Konflikte gibt, dann ist die Beziehung tot: entweder handelt es sich dann um ein Aneinander-vorbei-Leben ohne Begegnung oder ein symbiotischer Einheitsbrei, über den Albert Einstein sagt:
„Wenn zwei immer einer Meinung sind, ist einer überflüssig.“
Unterschiedlichkeit bereichert die Sichtweise.
Als Physikerin schätze ich das Ohm’sche Gesetz: Spannung ist Potentialdifferenz. Und wenn der Widerstand passt, dann fließt Strom und es entsteht Leistung.“ Auch Widerstand hat zu Unrecht ein negatives Image. In Wirklichkeit ermöglicht erst die Reibung, dass man vorankommt. Das Problem von Glatteis ist ein zu kleiner Widerstand. Wenn man die Synergien von Differenzen konstruktiv nutzt, kann man aus Spannung Spannendes entwickeln.
Wie man mit Konflikten umgeht ist entscheidend. Lernen kann man dabei z.B. vom Theater. Schauspieler blicken durch die Augen ihrer Rolle auf das vereinbarte Thema. Sie vertreten die Interessen der von ihnen verkörperten Figur. Wenn Interessen aufeinanderprallen, dann gilt es diese zu verhandeln. Das bringt die Handlung voran. Ähnlich appelliert auch der amerikanische Psychologe Robert Kegan:
„Betrachte Konflikte immer als Aufeinanderprallen von Ideen, nicht von Menschen.“
Die wichtigste Konfliktmanagementkompetenz ist die Dialogfähigkeit, die auf der Bereitschaft beruht, sich mit den Sichtweisen und Interessen des Gegenübers zu befassen. Wenn es gelingt, das Verbindende über das Trennende zu stellen und dabei die Unterschiedlichkeit bewahrt, kann man Konflikt- in Synergiepotentiale umpolen.
Mehr zum Thema Konfliktmanagement
Das Gespräch suchen bevor mich der Konflikt findet